5. Mai 2021
Online-Banking ist nicht alles: Während Industrie und Dienstleistung bei der Digitalisierung ihres Angebots große Fortschritte erzielen, bleibt in der Finanzbranche laut eigener Einschätzung unter dem Strich wenig von den ambitionierten Plänen übrig. Ist das Klagen auf hohem Niveau oder bestehen tatsächlich Defizite?
Natürlich hat der Bankensektor sich in den vergangenen Jahren durch große Investitionen in die IT-Infrastruktur an die Anforderungen der digitalisierten Welt angepasst. Prozesse werden schneller und somit kostensparender abgewickelt; Daten sind dezentral in die Cloud verlagert worden, was die Verfügbarkeit weiter verbessert, und Onlinebanking gehört mittlerweile zum Standardangebot. Doch die Konkurrenz durch eine neue Generation von Banken, den FinTechs, sowie ein neues Anlageverhalten der Kunden erfordert mehr. Und das sind Anwendungen, die die Kundenbedürfnisse decken. Zahlungsabwicklung, Kreditvermittlung und Vermögensberatung – in diesen Bereichen haben die etablierten Banken weiterhin großen Nachholbedarf, denn für Innovation sind sie nicht bekannt.
Mehr als 1.000 Führungskräfte von Privat- und Geschäftsbanken in 13 Ländern, darunter USA, Großbritannien, Hongkong, Singapur, Australien, Frankreich und Deutschland, wurden für eine aktuelle Studie im Auftrag von Publicis Sapient befragt. Dabei ging es um Digitalisierung in den Bereichen Customer Experience und operative Transformation – also genau dort, wo die FinTechs wie N26, Klarna oder Smava den Banken wie JPMorgan Chase, ING, HSBC und BNP Paribas immer mehr Kunden und Marktanteile abjagen.
Mit großem Anspruch sind sie gestartet, um den Herausforderungen der digitalen Transformation zu begegnen. Die Mehrheit der Banken (83 %) verfolgt eine klar formulierte Strategie. Sie wissen, dass “digital first” der Weg in die Zukunft ist, denn die Digital Natives unter den Herausforderern, neue Technologieanbieter und veränderte Kundenerwartungen setzen neue Prioritäten. Gerade die COVID-19-Pandemie hat sich zusätzlich als Beschleuniger erwiesen. Doch die Manager geben auch zu, dass ihnen bislang das Know-how dazu fehlt. Mehr als die Hälfte (60 %) weiß, dass sie bei der Umsetzung dieser Strategie noch keine nennenswerten Fortschritte gemacht hat. Während vier von fünf Banken in Technologie investieren, geben fast drei Viertel zu, dass sie zu wenig Geld in die Talente und Fähigkeiten stecken, die zur Nutzung dieser Technologie notwendig sind. Heißt: Die Technologie ist da, aber keiner kann damit umgehen.
Sie müssen also mehr tun, um mit der Konkurrenz, bei denen die Digital Natives das Sagen haben, Schritt zu halten. Sie müssen die Kunden gewinnen, denen das etablierte Bankenmodell zu verstaubt, zu altbacken und zu langsam ist. Um die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen und mit den Herausforderungen des Wettbewerbs Schritt zu halten, müssen die Banken sich mit den Bereichen des Geschäfts befassen, die sie voranbringen. Investitionen in Talente und Fähigkeiten sowie die Entwicklung einer digitalen Denkweise und Kultur für Banken sind der Schlüssel, um wirklich kunden- und digitalorientiert zu werden.
Um die Vorreiter bei Customer Leadership und Operational Leadership zu ermitteln, unterscheidet die Studie von Publicis Sapient zwischen vier verschiedenen Segmenten, die den Reifegrad der Banken beschreiben:
Die Transformations-Führer machen 17 % der befragten Banken aus. Agilität gilt bei diesen Banken als eine notwendige Eigenschaft für die digitale Wettbewerbsfähigkeit. Vielleicht geben deshalb nur 40 % der Führungskräfte an, dass die COVID-19-Pandemie ein Hindernis für die Transformation war, während das im Vergleich dazu 50 % der “Slow Starters” taten.
Was machen sie besser als zum Beispiel die Kundenchampions, die 7 % der Befragten ausmachen? Als einen Kernpunkt sieht Alison Beer von der JPMorgan Chase die Einfachheit: “Machen wir das Leben der Kunden einfacher? Machen wir es ihnen leichter, ihr Finanzleben an einem Ort zu verwalten? Die Unternehmen, die dies nahtlos über alle Produkte und Erfahrungen hinweg auf eine Art und Weise tun, die dem Kunden die Arbeit abnimmt, die vorausschauend ist und die personalisiert ist, werden gewinnen.”
Doch trotz all dieser Bemühungen, wettbewerbsfähige, digitale Kundenerlebnisse zu bieten, sagen mehr als die Hälfte (56 %) der Kundenchampions, dass ihre Organisation nicht genug in digitale Innovationen investiert, um mit den digitalen Herausforderern Schritt zu halten.
Im Gegensatz dazu stehen die “Operational Evangelists” auf der technischen Seite gut da. Sie investieren viel in Partner-Ökosysteme, die Optimierung der Betriebs- und Servicekosten und in Daten und/oder Analytik für eine 360°-Sicht auf ihre Kunden. Schon die Deutsche Bundesbank hat vor fünf Jahren diese Entwicklung vorausgesehen und prophezeit, dass nur mit einer Ausdünnung des engmaschigen Filialnetzes die hohen Kosten gesenkt werden können. Durch eine konsequente Digitalisierung könne man dennoch eine große Zahl an Kunden erreichen.
Die größte identifizierte Gruppe jedoch machen die Slow Starter aus. 71 % der befragten Finanzunternehmen haben noch keine signifikanten Fortschritte bei der Umsetzung ihrer digitalen Transformationsstrategien gemacht – weder bei der Kundenbetreuung noch bei der technischen Infrastruktur.
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