Nahaufnahme einer weißen RoboterhandNahaufnahme einer weißen Roboterhand

19. Juni 2020

Künstliche Intelligenz in Deutschland: eine komplizierte Beziehung

Wie nennt man eine Blondine, die sich die Haare schwarz färbt? Künstliche Intelligenz. Ebenso wenig ein Grund zum Lachen ist der Umgang der Unternehmen in Deutschland mit KI: zu zögerlich, sogar ablehnend. Verliert Deutschland auch hier den Anschluss?

Künstliche Intelligenz: Deutschland im Zugzwang

Der Bloomberg Innovation Index sieht Deutschland 2020 auf Platz eins des weltweiten Innovationsrankings. Doch die Innovationskraft hängt vor allem an der Automobilwirtschaft und im produzierenden Gewerbe, also dort, wo Deutschland traditionell stark ist. Und gerade deshalb ist der Wettbewerbsvorsprung in Gefahr. Der Einbruch der Weltwirtschaft, die Bildungsmisere, die durch die Corona-Pandemie offenbar wurde, sowie Umbrüche in der Mobilität bedrohen den Industriestandort Deutschland. Ein Drittel der Ausgaben für Forschung und Entwicklung gehen auf den Sektor der Automobilindustrie. Wenn VW, Daimler und BMW husten, bekommt Deutschland die Grippe. Die Kur muss also im Mittelstand und in der Start-up-Szene liegen. Doch auch dort geht es nur schleppend voran. Gegenwärtig sind die USA und China führend bei der Einführung der KI. Keine Überraschung also, dass die Mehrheit der 100 besten KI-Startups der Welt aus diesen beiden Ländern kommt, und ganze zwei aus Deutschland.

Statistiken, in denen Deutschland oder zumindest die EU (ohne UK) zu den führenden Anmeldern von Patenten bei der KI gehören, stammen aus 2017 oder davor. Und bis der Ausbau der nationalen Kompetenzzentren für KI-Forschung an den Universitäten in München, Tübingen, Berlin, Dortmund/St Augustin und Dresden/Leipzig sowie am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) Früchte trägt, wird es noch ein paar Jahre dauern.

Mehr Marketing als Mobilität

Wenn die Innovationen also noch nicht oder nicht mehr aus Deutschland kommen – werden sie dann wenigstens hier eingesetzt? Die Bundesregierung forciert seit 2019 mit über 150 Innovationsprogrammen den Einsatz und die Entwicklung der KI, noch einmal so viele sind auf dem Weg bzw. in Vorbereitung. Das Ergebnis? Von den 6 % der deutschen Unternehmen, die KI bereits im Einsatz haben, nutzen 69 % die Algorithmen im Marketing für Targeting und personalisierte Werbung. 22 % planen immerhin den Einsatz. Und was machen die anderen 72 von 100 Unternehmen? Die sehen mehr Potenzial hinter der KI als zielgruppengerechtes Marketing, nämlich unter anderem die Bedrohung durch die großen amerikanischen Unternehmen wie Amazon, Google und Microsoft, gerade für die Automobilindustrie. So könnte die Technologie effiziente Transportrouten planen, Wartungszyklen berechnen oder Anfragen und Reklamationen beantworten. Wenn Mobilität zu einer Dienstleistung wird, sind Automobilhersteller bald nur noch Zulieferer für die Technologiekonzerne aus USA und China. Doch es fehlen laut einer Umfrage des Bitkom e. V. offensichtlich die Mitarbeiter und Zeit, sich um das wichtige Thema zu kümmern.

KI als Stellschraube in Unternehmensprozessen

Dabei sind die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz auch abseits des Autos schier unbegrenzt. Die Automatisierung intelligenten Verhaltens birgt großes Potential. Es geht (primär) jedoch nicht um den Bau von Robotern, die uns den Alltag erleichtern. Die führenden KI-Unternehmen engagieren sich in der Personaleinsatzplanung in der Bauindustrie (ALICE Technologies), der personalisierten Lernumgebung (Squirrel AI Learning) oder Optimierung von Versorgungsnetzen. Ein Anbieter automatisiert die manuelle Dokumentenverarbeitung für globale Finanzdienstleistungs-, Versicherungs-, Gesundheits- und Regierungsorganisationen. Seine proprietäre Lösung klassifiziert Dokumente und extrahiert Daten; anschließend werden strukturierte Datendateien zur Verarbeitung nachgeschickt, wodurch der manuelle Aufwand verringert und Output und Produktivität gesteigert werden.

Ist Digitalisierung der Unternehmensprozesse also die Grundlage für die Einführung von KI? Zumindest signalisiert die Einführung eines ECM die Bereitschaft zur Veränderung. Die automatisierte Bearbeitung von Zahlungsein- und -ausgängen oder ein intelligentes Bewerbermanagement sind kleine Schritte hin zur Nutzung der Schlüsseltechnologie, auch für Unternehmen, die mit den klassischen Einsatzgebieten der KI nicht so viele Berührungspunkte sehen.

Mut und Wille zur Digitalen Transformation sind also Voraussetzung, wenn wir den Anschluss nicht verlieren wollen. Aber das machen wir schon.

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