Eine Gruppe Verbände steht auf einem Steg in der Nähe eines Gewässers.Eine Gruppe von Menschen steht auf einem Steg in der Nähe eines Gewässers.

27. September 2019

NGOs, Verbände, Stiftungen:
Digitalisierung mit Hindernissen

Wer sind die Profiteure der digitalen Revolution? Die zahlreichen Wohlfahrtsverbände, Hilfswerke und NGOs in Deutschland nur bedingt. Das ist nicht zuletzt selbst verschuldet – gerade hier fehlt noch der entsprechende Mentalitätswandel. Einige Beispiele zeigen jedoch, wohin der Weg führen könnte.

Die Digitalisierung ist seit jeher unmittelbar mit ökonomischen Interessen verbunden. Für die Unternehmen leitet sich daraus ein enormer Innovationsdruck ab, der durch die Anforderungen der Märkte laufend bestärkt wird. Effizienzgewinn, Kostenreduzierung und die Einsparung von Arbeitsressourcen sind dabei jene Kernziele, mit denen die Wettbewerbsfähigkeit langfristig gewahrt bleibt. Doch abseits monetärer Perspektiven suchen auch diakonische Einrichtungen, karitative Vereine, Verbände und Stiftungen ihren Platz im Digitalisierungswettbewerb und ringen um Expertise sowie die notwendigen Gelder zur Förderung ihrer Projekte. Dabei droht das Schlagwort „Ehrenamt 4.0“ zu einer wirkungslosen Etikette zu verkommen.

„Weiter wahrnehmen und als relevant erachten”

Die Frage, wie der digitale Wandel gemeinnützig engagierte Institutionen bereichern und als Instrument für einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt dienen kann, wird inzwischen breit diskutiert. In einem von mehreren Stiftungen veröffentlichten Report mit dem Titel „Digitalisierung braucht Zivilgesellschaft“ (2017) wird die Digitalisierung vor allem als „Gestaltungsaufgabe“ für den sozialen Sektor definiert. Demnach gilt es, „neue Kommunikations- und Servicebedürfnisse ihrer Zielgruppen“ zu bedienen, „damit diese sie weiter wahrnehmen und als relevant erachten“. Schließlich haben auch die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter keine geringeren Ansprüche an die Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit als ihre Kollegen aus Industrie und Verwaltung. Gerade im administrativen Bereich sowie in vielen anderen Organisationssegmenten lassen sich längst herausragende Optimierungspotenziale durch neue Technologien identifizieren.

DRK, Johanniter & Co. im Digitalisierungsmodus

Das haben inzwischen auch Institutionen wie das Deutsche Rote Kreuz erkannt. Kurz vor seinem 100. Geburtstag hat der größte der Wohlfahrtsverbände ein Kompetenzzentrum rund um das Thema Digitalisierung gegründet. Dieses Austauschnetzwerk soll den Diskurs rund um digitale Innovationen innerhalb der Organisation fördern. Ähnliches lässt sich bei der Johanniter Unfallhilfe beobachten: Die evangelische Hilfsorganisation hat im Rahmen eines erst kürzlich auslaufenden Projekts mit dem Namen „KoLeGe“ die Potenziale für eine Verbesserung der ambulanten Pflege untersucht. Dabei wurde erforscht, wie viel Betreuung zukünftig auf elektronischer Basis möglich werden könnte, beispielsweise bei der Erstellung von Tourenplänen oder im Bereich der Telearbeit. Und selbst der sonst stark traditionsverbundene Caritasverband sieht dringenden Handlungsbedarf und widmet das gesamte Jahr 2019 dem Motto „Sozial braucht digital“.

Einen Schritt weiter ist die Kindernothilfe, gegründet vor 60 Jahren in Duisburg. Das internationale Hilfswerk hat bereits seine Verwaltung komplett auf digitale Verfahren umgestellt und hierfür die firmeneigene Dokumentenverwaltung neu aufgebaut. Abteilungsübergreifend können jetzt alle Mitarbeiter auf alle relevanten Unterlagen zurückgreifen – zentral und ortsunabhängig.

Ein Verbändediagramm, das den Prozentsatz der Personen in einer digitalen Organisation anzeigt.
Quelle: Studie “Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen. Strategie, Kultur und Kompetenzen im digitalen Wandel”, 2017

„Alarmierender” Nachholbedarf

Obwohl die großen Hilfswerke und Wohlfahrtsverbände inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt haben, sieht es in der Breite der rund 600.000 Non-Profit-Organisationen in Deutschland teilweise deutlich düsterer aus. Das belegt eine Studie („Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen”, 2017). Sie zeigt, welch intensiven Förderbedarf in Sachen Digitalisierung die meisten Vereine, Stiftungen, Genossenschaften und Sozialunternehmen noch haben.

Im Rahmen der Untersuchung beklagten die befragten NPO-Angehörigen besonders die umfassenden Defizite bei der Bereitstellung notwendiger Ressourcen im Non-Profit-Sektor, um die Digitalisierung voranzutreiben. „Alarmierend erscheint uns“, so die Autoren der Studie, „dass vor allem operativ arbeitende Organisationen, deren direkte Projektarbeit oft erheblich von Digitalisierung profitiert und eine größere Wirksamkeit entfalten könnte, keine ausreichenden Mittel für Digitalisierung bereitstellen“. Kurzum: Der Wille ist da, häufig scheitert es jedoch an der fehlenden Technologieaffinität und der entsprechenden Investitionsbereitschaft.

Gegenwart und Zukunft des Ehrenamts 4.0

Und wie steht es nun um die Zukunft des „Ehrenamts 4.0“? Abseits der eher düsteren Bestandsaufnahme zum Thema Digitalisierung gibt es Hoffnung: In Rheinland-Pfalz hat die Landesregierung kürzlich zum dritten Mal einen Ideenwettbewerb für ehrenamtliche Projekte ausgerufen. Ausgezeichnet werden dabei Projekte, die „digital oder mit digitaler Unterstützung“ durchgeführt wurden. Ein Blick auf die Preisträger aus dem vergangenen Jahr zeigt: Digitalisierung findet überall eine Wirkungsstätte. Vom cloudbasierten Biotopmanagementsystem für die örtliche Naturschutzverwaltung über vollautomatisierte Lösungen zur Reservierung frischgebackenen Brotes beim familiengeführten Backhaus bis zum „Bürgerauto Birkenfeld“, das mit einer elektronischen Fahrdienst-Bearbeitung arbeitet – hier zeigt sich das enorme Potenzial der digitalen Zeitenwende in der Freiwilligenarbeit.

Doch die vielversprechenden Ansätze, wie sie momentan im Südwesten der Republik zu finden sind, werden auf Dauer nicht reichen. Ein Bewusstseinswandel ist vonnöten. Er muss die gesellschaftliche Aufwertung ehrenamtlichen Engagements mit der notwendigen Bereitstellung einer digitalen Infrastruktur verknüpfen. Das gilt für den mitgliederstärksten Wohlfahrtsverband genauso wie für die Nachbarschaftshilfe e. V. vor Ort.

Die Zukunft wird zeigen, wie viel Deutschland seine Vereine und Verbände noch wirklich wert sind.

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