9. September 2024
Die schöne Kleinstadt in der Lüneburger Heide ist zugleich ein starker Wirtschaftsstandort – und das Rathaus ist seit vielen Jahren digitaler Vorreiter, um eine optimale Leistungserbringung für die Bürgerinnen und Bürger sowie für die Wirtschaft gewährleisten zu können. Verantwortlich dafür ist Thomas Körtge, der die Einführung einer revolutionären KI-Lösung vorantreibt: enaio® gpt, in Soltau “SOFIA” genannt. Mit enaio® gpt können Verwaltungsmitarbeitende Anfragen stellen, die in Sekundenschnelle beantwortet werden. Die Antworten basieren auf den in enaio® hinterlegten Daten und Dokumenten.
Anna Eichler: Herr Körtge, Sie sind der Motor der digitalen Transformation in Soltau. Die Stadt nutzt seit acht Jahren das ECM enaio® und seit Kurzem enaio® gpt, das Sie liebevoll SOFIA nennen. Warum haben Sie sich für diese Technologie entschieden, und was hat Sie an dieser Lösung so begeistert?
Thomas Körtge: Die Entscheidung für enaio® war ein Prozess auf mehreren Ebenen. In Soltau beschäftigen wir uns bereits seit Mitte der 90er Jahre mit der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen. Als eine der ersten Kommunen haben wir damals begonnen, Papierakten zu digitalisieren. Das war der erste Schritt, um die Arbeit in unserer Stadtverwaltung effizienter zu gestalten und gleichzeitig Platz zu sparen – ein ganz praktisches Problem, denn wir haben im Verhältnis zu unserer Verwaltungsgröße das kleinste Rathaus. Im Jahr 2016 haben wir uns dann für das Enterprise Content Management-System (ECM) enaio® entschieden und alle Akten rückwirkend ab 1946 digitalisiert.
Der Anstoß für eine KI-Komponente kam, als ChatGPT in den Medien für Furore sorgte. Ich habe die Berichte darüber förmlich verschlungen und war sofort fasziniert davon. Mir kam der Gedanke, dass eine ähnliche Technologie auch in unserer Verwaltung mit großem Bestand an digitalem Content einen erheblichen Mehrwert bieten könnte.
“Viele meiner Kollegen sind erstaunt, wie weit wir schon gekommen sind, und sehen, dass sich die Arbeit lohnt.”
Thomas Körtge, Stadt Soltau
Anna Eichler: Wie haben Sie den Weg von der Idee bis zur Umsetzung gemeistert? Was waren die ersten Schritte?
Thomas Körtge: Der erste Schritt war die Recherche. Ich wollte herausfinden, welche Unternehmen sich bereits mit KI-Lösungen im öffentlichen Sektor beschäftigen. Dabei bin ich auf die P&M Agentur Software + Consulting GmbH in Hamburg gestoßen. Was mich sofort überzeugt hat, war die pragmatische Herangehensweise. Sie haben nicht versucht, uns eine theoretische Lösung zu verkaufen, sondern von Anfang an sehr praxisnah mit uns zusammengearbeitet. Auch bei OPTIMAL SYSTEMS Hannover gab es zu diesem Zeitpunkt bereits Überlegungen in Richtung KI. In diesem Fall kamen die richtigen Leute zur richtigen Zeit zusammen. Die Entscheidung für enaio® gpt war dann der nächste logische Schritt.
Anna Eichler: Gab es besondere Herausforderungen bei der Einführung?
Thomas Körtge: Auf jeden Fall. Eine der größten Herausforderungen war es, den Bürgermeister und die Verwaltungsspitze zu überzeugen. Es ging ja nicht nur um die Einführung einer neuen Technologie, sondern auch darum, die Verantwortung für dieses Projekt zu übernehmen. Wir waren die erste Kommune in Deutschland, die eine solche Lösung eingeführt hat. Mein Versprechen an den Bürgermeister war, dass alles rechtskonform abläuft. Er hat diese Verantwortung übernommen, das war entscheidend. Ein weiteres Problem war, dass sich das Recht den neuen technologischen Möglichkeiten anpassen musste. Als wir anfingen, gab es noch keine spezifischen Gesetze für den Einsatz von KI in der Öffentlichen Verwaltung.
Anna Eichler: Inwiefern stellten die rechtlichen Rahmenbedingungen eine Herausforderung dar? Gab es Konflikte mit bestehenden Gesetzen?
Thomas Körtge: Ja, das war ein spannender Punkt. Einige Gesetze widersprechen sich tatsächlich. Auf der einen Seite steht die DSGVO mit den Vorschriften für eine rechtskonforme Verarbeitung der Daten, im Bundesdatenschutzgesetz sind es die zu beachtenden Löschfristen und am Ende sind auch Regelungen zu beachten, die eine langfristige Aufbewahrung von Akten verlangen. Durch die Durchführung einer Datenschutzfolgeabschätzung durch einen unabhängigen und TÜV-zertifizierten Datenschützer haben wir nun die Sicherheit, dass alles rechtlich einwandfrei ist.
Anna Eichler: Wie konnten Sie Ihre Mitarbeitenden in der Verwaltung überzeugen?
Thomas Körtge: Der Bürgermeister hat maßgeblich dazu beigetragen, dass SOFIA (enaio® gpt) erfolgreich umgesetzt werden konnte. Er hat von Anfang an gesagt, dass diese Lösung zunächst nicht für alle Bereiche der Verwaltung gedacht ist. Die ersten Tests in der Verwaltung haben gezeigt, dass das Produkt mit seinen Antworten überzeugt, und die Führungskräfte zeigen durch ihr Verhalten, wie wichtig es ist, diese neue Technologie anzunehmen. Niemand muss Angst haben – es geht um Wissensausgleich, nicht um ein neues Produkt, sondern um eine Erweiterung von enaio®. Wir gehen das gelassen an, denn KI kommt, ob wir wollen oder nicht. Es ist unvermeidlich, dass wir uns anpassen müssen.
Anna Eichler: Wie hat sich die Einführung von SOFIA auf die tägliche Arbeit in der Verwaltung ausgewirkt? Welche Aufgaben übernimmt SOFIA konkret?
Thomas Körtge: SOFIA fungiert als eine Art digitale Assistentin, die vor allem auf der Führungsebene eingesetzt wird. Die Hauptaufgabe von SOFIA besteht darin, komplexe Anfragen schnell und präzise zu beantworten und dabei auf das Wissen aus über 80 Jahren Verwaltungsarbeit zurückzugreifen. Sie erstellt Berichte, bereitet Pressemitteilungen vor und unterstützt uns bei der Planung von Bauprojekten. Besonders beeindruckend ist, wie SOFIA komplexe Sachverhalte verständlich zusammenfasst. Ein Beispiel ist die Wärmeplanung in Soltau, ein hochaktuelles Thema in der Kommunalverwaltung. Hier kann SOFIA auf eine Vielzahl von Dokumenten zugreifen und eine umfassende Analyse liefern, die uns hilft, fundierte Entscheidungen zu treffen.
Anna Eichler: Sie haben die Bedeutung von SOFIA für die Führungsebene betont. Wie sieht das konkret aus? Welche Aufgaben übernimmt SOFIA hier?
Thomas Körtge: Die Führungsebene steht oft vor der Herausforderung, schnelle und fundierte Entscheidungen treffen zu müssen, ohne immer alle Details selbst im Blick zu haben. Hier kommt SOFIA ins Spiel. Angenommen, es steht eine Sitzung an, in der der Bürgermeister über ein komplexes Bauvorhaben informiert werden muss. Früher hätten wir dazu eine Vielzahl von Akten wälzen müssen oder die Trefferlisten der Volltextsuche. Heute genügt eine Anfrage an SOFIA, und wir erhalten in kürzester Zeit eine umfassende Zusammenfassung inklusive der relevanten Vorgeschichte und der aktuellen Planungsdetails.
Anna Eichler: Welche konkreten Vorteile hat Ihnen der Einsatz von SOFIA gebracht? Welche Probleme konnten gelöst werden?
Thomas Körtge: Ein Viertel unserer Verwaltung, darunter viele Führungskräfte, geht in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nehmen ein enormes Wissen mit, das der Verwaltung ersatzlos verloren gehen würde. SOFIA hilft uns, diese Lücke zu schließen, indem es auf die digitalen Inhalte zugreift, die wir seit Jahren in enaio® gespeichert haben. So können wir nicht nur Aufgaben schneller erledigen, sondern auch sicherstellen, dass das Wissen im Haus bleibt. Das gibt uns die Möglichkeit, uns auf andere, oft vernachlässigte Aufgaben zu konzentrieren, und die Bürger und Bürgerinnen wieder mehr in den Mittelpunkt zu stellen.
Anna Eichler: Wie haben andere Kommunen auf Ihre Erfahrungen mit SOFIA reagiert? Was sagen Ihre Kolleginnen und Kollegen?
Thomas Körtge: Die Reaktionen aus anderen Kommunen waren durchweg positiv. Viele meiner Kollegen sind erstaunt, wie weit wir schon gekommen sind, und sehen, dass sich die Arbeit lohnt. Es ist klar, dass die Einführung eines ECM-Systems wie enaio® langwierig und herausfordernd sein kann, aber die Ergebnisse sprechen für sich. Das positive Feedback zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind und unsere Erfahrungen auch für andere Kommunen wertvoll sein können. SOFIA greift auf valides, kuratiertes Wissen aus unserer Verwaltung zu, was es von anderen KI-Lösungen wie ChatGPT oder Copilot unterscheidet. Uns ist wichtig, mit dem Wissen von gestern das Können von morgen gestalten zu können. Es ist ein Werkzeug, das hilft, aber nicht selbst Entscheidungen trifft. Und die Akzeptanz von SOFIA ist deshalb so hoch, weil es nahtlos in enaio® integriert ist.
Anna Eichler: Was würden Sie abschließend anderen Kommunen raten, die ebenfalls über die Einführung von KI-Lösungen in ihrer Verwaltung nachdenken? Was haben Sie aus Ihrem Projekt gelernt?
Thomas Körtge: Mein erster Rat wäre: keine Angst vor neuen Technologien! Die Einführung von KI in der Verwaltung ist kein Selbstzweck, sondern ein notwendiger Schritt, um in Zeiten von Fachkräftemangel und steigender Arbeitsbelastung leistungsfähig zu bleiben. Wichtig ist, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Anfang an mitzunehmen und ihnen klarzumachen, dass es um Unterstützung und nicht um Ersatz geht.
Eine weitere wichtige Lektion ist, sich die richtigen Partner zu suchen. Ohne die enge Zusammenarbeit mit OPTIMAL SYSTEMS Hannover und der PM-Agentur wäre dieses Projekt nicht so erfolgreich gewesen. Es ist wichtig, mit Partnern zusammenzuarbeiten, die nicht nur über technisches Know-how verfügen, sondern auch die Bedürfnisse und Besonderheiten der Öffentlichen Verwaltung verstehen.
Und zu guter Letzt: einfach anfangen! Die Technologie ist da, die Möglichkeiten sind riesig. Es lohnt sich, den ersten Schritt zu tun und zu sehen, welche positiven Veränderungen eine solche Lösung mit sich bringen kann. Wir in Soltau sind jedenfalls davon überzeugt, dass SOFIA uns auf dem Weg in die digitale Zukunft begleiten und unterstützen wird.
Anna Eichler: Vielen Dank, Herr Körtge, für diesen spannenden Einblick in die Arbeit Ihrer Verwaltung und den Einsatz von enaio® gpt, das Sie für sich in Soltau so liebevoll SOFIA getauft haben. Wieso eigentlich?
Thomas Körtge: Sehr gerne! SOFIA geht auf die griechische Vokabel für Weisheit zurück, gleichzeitig bedeutet es: Soltau findet im enaio® alles!