Ein Schwarz-Weiß-Foto von ineinandergreifenden Händen verschiedener EthnienÜbereinanderliegende Hände

12. Mai 2022

Das neue Lieferketten­ge­setz – wer ist betroffen und wie funktioniert die Umsetzung?

Von Philippe Zimmermann

Was ist das neue Lieferketten­gesetz?

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, auch “LkSG” oder “Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten” genannt, wurde Ende Juni 2021 von der damaligen Großen Koalition verabschiedet. Im Rahmen ihrer Corporate Compliance werden Unternehmen dadurch verpflichtet, Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden in ihren Lieferketten zu ergreifen.

Ursprünglich hatte die Regierung noch auf Freiwilligkeit gehofft: Würde sich eine Mehrheit der deutschen Unternehmen den Maßnahmen des sogenannten “Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte von 2016 in der Bundesrepublik Deutschland” unterziehen, würde es nicht zu einer gesetzlichen Verpflichtung kommen. Doch Erhebungen im Jahr 2020 zeigten, dass 83 % bis 87 % der befragten Unternehmen diesen Aktionsplan eben nicht befolgt haben – und auf die Freiwilligkeit anderer Firmen gehofft hatten. Es entbehrt nicht einer gewissen traurigen Ironie, dass Unternehmer:innen gezwungen werden müssen, gegen Zwangsarbeit (und Schlimmeres) vorzugehen.

Was müssen Sie als Unternehmen nun tun?

Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen zu grundlegenden Vorsorge -und Dokumentationsmaßnahmen. Konkret bedeutet das:

  • die Einrichtung eines Risikomanagements
  • die Definition der betriebsinternen Zuständigkeiten
  • regelmäßig durchgeführte Risikoanalysen
  • die Veröffentlichung einer Grundsatzerklärung
  • die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im internen Geschäftsbereich sowie gegenüber unmittelbaren Zulieferern
  • das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen
  • die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens
  • die Umsetzung von Sorgfaltspflichten (in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern)
  • die anfallende Dokumentation muss bis zu sieben Jahre aufbewahrt werden
  • ein jährlicher Bericht über die ergriffenen Maßnahmen muss der Öffentlichkeit kostenfrei und online zugänglich gemacht werden

Künftig wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle damit betraut sein, die Einhaltung dieses Gesetzes zu überwachen. Unbelehrbaren Unternehmen drohen nämlich empfindliche Strafen: Der Bußgeldkatalog reicht bis 800.000,- Euro für Unternehmen mit weniger als 400 Millionen Euro Jahresumsatz. Großunternehmen über diesem Schwellenwert drohen Strafen in Höhe von bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes. Und jede Strafzahlung über 175.000,- Euro kann zum Ausschluss von öffentlichen Aufträgen führen – bis zu drei Jahre lang.

Den vollständigen Inhalt des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes in seiner momentan gültigen Form können Sie auf der Seite des Bundesjustizministeriums finden; das Gesetz in seiner ab 2023 gültigen Fassung finden Sie auf buzer.de.

Welche Unternehmen sind vom LkSG betroffen – und ab wann?

Ab 2023 gilt das Lieferkettengesetz für alle Unternehmen, die mindestens 3.000 Arbeitnehmer:innen in Deutschland beschäftigen (inklusive ins Ausland entsandtes Personal) sowie

  • entweder “ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben”
  • oder eine Zweigniederlassung im Sinne des § 13d des Handelsgesetzbuchs in Deutschland betreiben.

Ab 2024 wird der Schwellenwert der Arbeitnehmerzahl auf 1.000 Personen sinken. Und, um cleveren Firmenkonstruktionen gerecht zu werden, präzisiert § 1 des LkSG auch bereits, dass “innerhalb von verbundenen Unternehmen (§ 15 des Aktiengesetzes)” auch “die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer sämtlicher konzernangehöriger Gesellschaften bei der Berechnung der Arbeitnehmerzahl […] der Obergesellschaft zu berücksichtigen” seien.

Doch nicht nur diese sinkenden Schwellenwerte machen Druck auf Unternehmen, auch der politische Wind aus Brüssel sollte zu denken geben: Beobachter vermuten, dass das deutsche LkSG als Vorlage für eine europaweit gültige – und womöglich verschärftere – EU-Regelung dienen wird.

Zivilrecht­liche An­sprüche

Nicht nur von Aufsichtsbehörden droht Ärger; von Menschenrechtsverletzungen im Ausland betroffene Arbeiter:innen erhalten nun auch die Möglichkeit, zivilrechtlich gegen verantwortliche Unternehmen in Deutschland vorzugehen. Dazu sieht das Gesetz vor, dass NGOs und Gewerkschaften entsprechende Vertreterrollen wahrnehmen dürfen (solange sie nicht einzig zu dem Zweck gegründet wurden, nur solche Ansprüche geltend zu machen).

Einen kleinen Vorgeschmack davon gab es bereits im Jahr 2021, als die Nonprofit-Organisation European Center for Constitutional and Human Rights in Deutschland Strafanzeige gegen Aldi, C&A, Hugo Boss und Lidl erstattete. Der Vorwurf: Alle vier Unternehmen hätten von Ausgangsmaterialien aus chinesischer Zwangsarbeit profitiert. Ähnliche Anzeigen wurden auch in Frankreich und den Niederlanden erstattet.

“Ist der Ruf erst ruiniert …”, könnte man jetzt defätistisch sagen. Doch einige der beschuldigten Unternehmen aus obigem Beispiel konnten sehr wohl nachweisen, dass sie das Problem bereits selbst erkannt hatten und entsprechende Gegenmaßnahmen schon längst selbst eingeleitet hatten. Der Fall zeigt: Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft können sehr wohl am gleichen Strang ziehen.

Was sind Menschenrechts­ver­letzungen?

Menschenrechte sind universelle, unteilbare und vor allem unveräußerliche individuelle Freiheits- und Autonomierechte, die jedem zustehen. Die Ursprünge dieses Konzepts lassen sich bis in das antike Babylonien zurückverfolgen; für die Neuzeit und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz relevant sind aber der International Covenant on Civil and Political Rights sowie der International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights der Vereinten Nationen. Dabei handelt es sich um zwei Übereinkommen aus dem Jahr 1966 (in Kraft getreten 1976, in Deutschland ratifiziert seit 1973), die die vorher nicht bindende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN in Gesetzesform brachte. Ferner für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz relevant sind das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (1989), die ILO-Kernarbeitsnormen (1998), das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe (2001) sowie das Minamata-Übereinkommen über Quecksilber (2013).

Das sind eine Menge Gesetze. Aber ein Blick in die ILO-Kernarbeitsnormen erlaubt zumindest schon einmal eine grobe Einordnung von möglichen Menschenrechtsverletzungen, die womöglich bei verdächtig günstigen Zuliefer­ern anfallen könnten:

  • Zwangs- oder Pflichtarbeit
  • Verletzung der Vereinigungsfreiheit und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen
  • Fehlende Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit
  • Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf
  • Arbeit unterhalb des Mindestalters (Kinderarbeit)
Eine Karte, die den globalen Freiheitsindex und seine Auswirkungen auf die Lieferkette zeigt.
Der regelmäßig veröffentliche Human Freedom Index misst und vergleicht die relative ökonomische und individuelle Freiheit weltweit. Quelle: Landgeist.com

Welche Ihrer Zulieferer deckt das Lieferketten­sorg­falts­pflichten­gesetz ab?

Um der Vielschichtigkeit des internationalen Warenverkehrs gerecht zu werden, unterscheidet das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz anhand mehr­erer Faktoren den Grad an Verantwortlichkeit für den jeweiligen Zulieferer.

So wird etwa zwischen einem unmittelbaren Zulieferer (ein Vertragspartner, der Waren liefert, die für Ihre Wertschöpfungskette notwendig sind), und einem mittelbaren Zulieferer unterschieden (letzterer ist zwar notwendiger Teil der Lieferkette, aber nicht Ihr unmittelbarer Vertragspartner).

Gegenüber den unmittelbaren Zulieferern müssen angemessene Präventionsmaßnahmen im Sinne des LkSG ergriffen werden. Das bedeutet Kontrollmaßnahmen, vertragliche Zusicherungen und entsprechende Schulungen und Weiterbildung – aber vor allem bedeutet es, dass Menschenrechte und umweltbezogene Erwartungen bereits bei der Auswahl des Zulieferers als zu berücksichtigender Faktor etabliert werden müssen. Quasi: Statt sich zu fragen, wer von den günstigsten Anbietern denn nun Menschenrechte einhält, sollte man sich vielmehr fragen: Wer von den Anbietern, die Menschenrechte einhalten, ist der günstigste?

Bei Problemen mit mittelbaren Zulieferern, zu denen in diesem Sinne also keine direkte Vertragsbeziehung besteht, müssen Unternehmen spätestens dann tätig werden, wenn sie “substantiierte Kenntnis” über eine mögliche Menschenrechts- oder Umweltschutzverletzung erlangen, beispielsweise über einen Beschwerdemechanismus oder Medienberichte.

Direkte Bußgelder drohen diesen (in der Regel im Ausland ansässigen) Zulieferern durch das Lieferkettengesetz zwar nicht – allerdings legt der Gesetzgeber nahe, entsprechende Vertragsstrafen oder andere Sanktionen in das eigene Maßnahmenrepertoire mit aufzunehmen.

Das Liefer­ketten­gesetz kommt – wie setzen Sie es um?

Als ersten Schritt sollten Sie natürlich erst einmal alle Menschenrechtsverletzungen unterbinden, von denen Sie bereits wissen und für die Sie unmittelbar und indirekt verantwortlich sind (Stichwort verdächtig günstige Anbieter). Damit soll überspitzt gesagt werden: Dieses Gesetz ist ein guter Vorwand, die eigene Wertschöpfungskette noch einmal kritisch zu hinterfragen.

Sollten Sie für ein Unternehmen tätig sein, das bereits ab 2023 unter die Verpflichtung fällt, empfiehlt es sich, auf eine rechtzeitige Umsetzung der gesetzlichen Pflichten zu achten. Compliance sollte in einem Unternehmen dieser Größe ohnehin kein Fremdwort sein: Bereits vorhandene Corporate Social Responsibility-Verantwortliche (CSR) müssen die nötigen Zeit-Ressourcen und Tools erhalten, um die geforderten Vorsorge- und Dokumentationspflichten realisieren zu können.

Unternehmen, die erst ab 2024 unter das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz fallen, haben zunächst etwas mehr Zeit, die unmittelbaren juristischen Folgen dieses neuen Gesetzes abzuwarten, ehe sie die eigene Umsetzung angehen. Erwartet wird, dass ähnlich wie bei der DSGVO rechtliche Sicherheit für alle Marktteilnehmer erst durch konkrete Gerichtsprozesse entstehen wird. Kleinere Unternehmen profitieren aber auch durch Best Practice-Lösungen und sachkundige Berater, die sich bis zum 1. Januar 2024 bereits etabliert haben werden.

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