Eine Nahaufnahme eines Digitalisierungslaptops mit Code darauf.Eine Nahaufnahme eines Digitalisierungslaptops mit Code darauf.

18. Juli 2022

Digitalisierung vor und hinter der Rathaustür

Osnabrück. Was verbirgt sich hinter dem Onlinezugangsgesetz (OZG)? Oberflächlich betrachtet, erweckt es den Anschein, den Bürger:innen alle Verwaltungsleistungen online zur Verfügung zu stellen. Henning Köster, Bereichsleiter für die Servicebereiche DMS & E-Services von der ITEBO GmbH, sieht in dem OZG die Möglichkeit von grundlegenden Gesetzesreformen für die Öffentliche Verwaltung. Wichtig sei hierbei nicht nur die Frage, was die Verwaltung für die Bürger:innen schaffe, sondern was diese für sich tue. Behördenübergreifende Kommunikation und das Nutzen von aktuellen Kommunikationswegen ist der Schlüssel zu mehr Bürger:innennähe.

Was bedeutet Digitalisierung für Sie, Herr Köster?

Köster: Durch die inflationäre Verwendung könnte sich dieser Begriff fast als Unwort rühmen. Die wahre Bedeutung der Digitalisierung verliert sich hierbei; wenn wir davon reden, dass die Verwaltung digitalisiert wird, ist der Sinn und die Zweckmäßigkeit nicht die Digitalisierung, sondern die Prozessoptimierung. Folglich ist die Digitalisierung nur ein Mittel, beziehungsweise ein Werkzeug zur Erfüllung des Zwecks. Das Zusammenwirken von Verwaltung und Bürger:innen wird geprägt durch die heutigen Kommunikationsstrukturen. Es ist wichtig, dass die Verwaltungen am Puls der Zeit sind und nicht speziell auf einem Sonderkommunikationsweg mit den Bürger:innen interagieren.

Ein Mann im Anzug steht vor einem Fenster und beschäftigt sich mit dem Prozess der Digitalisierung.
Henning Köster, Servicebereichsleiter DMS & E-Services, ITEBO GmbH

Eine bessere Interaktion zwischen Verwaltung und Bürger:innen strebt auch die Bundesregierung mit dem Onlinezugangsgesetz an. Um tiefer in dieses Thema einsteigen zu können, bitten wir Sie, die Digitalisierungsmaßnahmen in Öffentlichen Verwaltungen zu bewerten. Inwiefern ist die Prozessoptimierung vorangeschritten?

Köster: Festzuhalten ist der enorme Fortschritt in den letzten fünf bis sechs Jahren, da wir in dieser Zeit eine solide Basis hinsichtlich einer digitalen Ausrüstung geschaffen haben. Gern bediene ich mich einer Metapher: Stellen Sie sich eine Bergwanderung vor. Vor dem Wandern ist die Anschaffung einer guten Ausrüstung sehr wichtig. Das sind neben wärmender Kleidung, ein Rucksack, das richtige Schuhwerk und vieles mehr. Die erste Frage lautet daher: Welche Mittel und Strukturen zur Digitalisierung benötige ich, bevor ich loslaufe? Diesen Punkt haben wir erreicht und können nun unsere Vorhaben mit digitalen Maßnahmen in die Tat umsetzen. Auf dem vor uns liegenden Weg werden wir erst feststellen, in welchem Ausmaß wir die Ausrüstung verwenden. Strukturen und Grundlagen können wir meiner Meinung nach in den nächsten zwei Jahren weitestgehend abschließen, sodass die großen Ziele deutlich sichtbarer werden. Wir sind noch relativ am Anfang unserer Reise.

Kommen wir zu unserem heutigen Schwerpunktthema: dem Onlinezugangsgesetz. Ist dieses für die Öffentliche Verwaltung das Trendthema in 2022?

Köster: Aktuell wird die OZG-Flagge vor einer Reihe von anderen Themen gehalten, viele Ereignisse würden ohne die Gesetzesgrundlage des OZGs nicht zu realisieren sein. Das betrifft vor allem prozessuale oder infrastrukturelle Maßnahmen in der kommunalen Verwaltung sowie auf der Landes- und Bundesebene. Dank des OZGs ist die Registermodernisierung mit dem Gesetz zur Einführung und Verwendung einer Identifikationsnummer in Kraft getreten. Wir sprechen von vielen Informationsregistern, die über Bürger:innen geführt werden und nicht zusammengeführt oder verknüpft werden. Dies führt dazu, dass die Bürger:innen mehrfach die Dokumente bei unterschiedlichen Behörden abgeben müssen. Der mangelnde Austausch zwischen den Behörden ist ein Grund, weshalb das OZG ein Trend- und Reformthema ist. Die reine Bereitstellung von Onlineanträgen ist hierbei nicht das ausschlaggebende Kriterium, sondern die digitale Durchgängigkeit im Hintergrund.

Das OZG ist der Anlass für eine Reform der aktuellen Gesetzeslage?

Köster: Ja, im Hinblick auf die momentanen Gesetzesänderungen, die allein des OZGs wegen in Entwicklung sind, findet eine Reform statt. Viele Gesetze sind in den 60/70er Jahren verabschiedet worden und gelten heute als überholt, da diese nicht mehr mit den üblichen Kommunikationssystemen kompatibel sind. Die Veränderungen lassen sich alle auf das Grundthema OZG zurückführen.

Werden die Ziele des OZGs nicht bereits über andere Serviceportaldienstleistungen von Seiten der Kommunen erfüllt?

Köster: Es gibt bereits viele Leistungen in Bezug auf klassische Onlineformulare, die öffentlich von Kommunen bereitgestellt werden. Einige Punkte werden vom OZG nicht erfasst. Wir haben z. B. mit OPTIMAL SYSTEMS Hannover ein Projekt initiiert, bei dem wir Bürger:innen ihre Steuerbescheide digital zur Verfügung stellen. Diese Bescheide liegen im ECM enaio® und können über das Serviceportal OpenR@thaus aufgerufen werden. Eine Mehrwertsituation für alle: Die Bürger:innen können ihre Bescheide jederzeit anschauen und über die Ansicht im Benutzerbereich prüfen – ohne diese aktiv per Telefon oder E-Mail anfragen zu müssen.

Sie sprechen oft von Digitalisierung vor und hinter der Rathaustür? Führen Sie diese Gedanken bitte weiter aus. 

Köster: Gern nenne ich Ihnen hierfür ein Beispiel der Mülltonnen-An- und Abmeldung: Angenommen, ich möchte meine 120-Liter-Restmülltonne über die Internetseite gegen eine 80-Liter-Restmülltonne austauschen und das ohne großen Aufwand, dann sprechen wir von der Digitalisierung vor der Rathaustür. Wie sieht es jetzt im Rathaus aus? Sofern der Antrag des Bürgers in dem Mailpostfach eines Sachbearbeiters oder in der zentralen Eingangsstelle der Verwaltung eingeht, misslingt die Digitalisierung hinter der Rathaustür. Der oder die Sachbearbeiter/in druckt die E-Mail mit dem Antrag aus und schickt diesen in der Umlaufmappe erstmal zu einer weiteren Person, die für die Mülltonnenbestellung verantwortlich ist. Von dort aus wandert die Umlaufmappe zu den Mitarbeitenden, die für die veränderten Müllgebühren auf dem Steuerbescheid zuständig sind. Die externen digitalen Maßnahmen müssen daher simultan mit den internen Digitalisierungsprozessen vonstattengehen.

OZG = Serviceportal + Dokumentenmanagementsystem. Ist das die Formel? Ist das die Ausrüstung für den OZG-Bergsteiger?

Köster: Dies sind die wichtigen Voraussetzungen, um sinnvoll oder angemessen Anträgen in der Verwaltung gerecht zu werden. Wenn wir von einem Onlineantrag sprechen, sollte dieser idealerweise in das DMS bzw. ein Fachverfahren eingehen. Nicht für jedes Thema oder jeden Antrag hat eine Verwaltung auch immer ein Fachverfahren, was die Rolle des DMS bedeutend hervorhebt. Dieses ermöglicht das strukturierte Erfassen von Daten in der Verwaltung, die mit Workflows versehen werden können. Es ist sehr viel Vorarbeit geleistet, wenn diese “Ausrüstung” bereitgestellt werden kann.

Werden die Kommunen es bis Ende 2022 schaffen, alle Verwaltungsdienstleistungen über Serviceportale elektronisch anzubieten? Wie schätzen Sie die OZG-Umsetzung ein?

Köster: Glücklicherweise hat sich mittlerweile auch die öffentliche Einschätzung dahingehend verändert: Wir gehen davon aus, dass sich die Deadline nochmal um ein Jahr verschieben wird, um alle Verwaltungsleistungen zu digitalisieren. Hierfür ist die Bereitstellung einer digitalen Infrastruktur in Verwaltungen notwendig. 2021 haben viele Verwaltungen große Fortschritte hinsichtlich der Infrastrukturen und der Berücksichtigung der rechtlichen Grundlagen gemacht. Zu Beginn des OZGs im Jahr 2016 bzw. 2017 ist dieses lediglich als ein politischer Wille kommuniziert worden.

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